19. Oktober 2025

Wann ist der richtige Zeitpunkt, sie gehen zu lassen?


Gedanken einer Tierärztin über den Abschied von meinem Hund Finja

Ich weiß nicht, wie vielen Tieren ich in meinem Berufsleben als Tierärztin bereits über die Regenbogenbrücke helfen durfte. Diese Entscheidung treffe ich nie leichtfertig. Auch wenn sie zu meinem Beruf gehört, ist sie nie Routine – denn jedes Tier ist einzigartig, jede Beziehung besonders.

Und manchmal kommen dabei auch mir die Tränen. Ich weine dabei nicht, weil ich zweifle. Ich weiß, dass es für das Tier der richtige Weg ist – der Weg in die Ruhe, frei von Schmerzen und Erschöpfung.
Aber ich weine mit den Menschen, die ihren geliebten Weggefährten verlieren. Ich spüre ihre Trauer, ihre Leere, ihre Liebe. Denn ich weiß genau, wie sich das anfühlt.

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Letzte Woche musste ich mich von meiner eigenen Hündin Finja verabschieden. Sie war fast 14 Jahre alt. Ich habe sie selbst eingeschläfert – eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens, obwohl ich wusste, dass es der richtige Moment war.


Die Frage, die uns alle quält

Schon Wochen zuvor stellte ich mir immer wieder dieselbe Frage:
Wann ist der richtige Zeitpunkt, sie gehen zu lassen?

Finja litt seit Jahren unter Arthrosen in den Gelenken, die ihr das Laufen zunehmend erschwerten. Vor drei Jahren standen wir schon einmal kurz davor, Abschied zu nehmen – doch dank neuer Medikamente bekam sie noch eine wundervolle, lebensfrohe Zeit geschenkt.

Vor etwa einem Jahr kam dann die Diagnose: ein Lungentumor. Zunächst machte er ihr kaum Probleme, doch wir wussten, dass die Zeit begrenzt war.

Vielleicht kennt ihr diese leisen Veränderungen, die einem das Herz schwer machen:
Die Spaziergänge werden kürzer.
Die Begrüßung fällt weniger stürmisch aus.
Sie schlafen mehr, fressen weniger, sind manchmal unsauber.
Und dann stellt man sich unweigerlich die Frage:
Ist das Altern allein schon ein Grund, ein Leben zu beenden?

Für mich lautet die Antwort: Nein.
Solange ein Tier noch Freude am Leben hat – frisst, neugierig ist, Nähe sucht, gerne draußen schnuppert oder einfach zufrieden in der Sonne liegt – ist sein Leben lebenswert.


Wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert?

Diese Frage lässt sich nicht mit einer Checkliste beantworten. Aber einige Gedanken können helfen, die Situation besser einzuschätzen:

  • Schmerzfreiheit: Hat mein Tier Schmerzen, die sich nicht mehr ausreichend lindern lassen?
  • Lebensfreude: Gibt es noch Momente, die ihm Freude bereiten – oder überwiegt nur noch das Leiden?
  • Appetit und Interesse: Nimmt es noch am Leben teil, frisst es, zeigt es Neugier?
  • Mobilität: Kann es sich noch selbstständig bewegen, liegen, aufstehen?
  • Kommunikation: Sucht es noch Kontakt, oder zieht es sich völlig zurück?

Diese Fragen sind schwer, und sie tun weh. Aber sie helfen uns, die Entscheidung im Sinne unseres Tieres zu treffen – nicht im Sinne unseres eigenen Schmerzes. Denn am Ende tragen wir die Verantwortung, Leiden zu verhindern, auch wenn das bedeutet, loszulassen.


Abschied in Liebe

Als Finjas Schritte zu schwer wurden, ihr Körper schwächer und die Freude an den kleinen Dingen des Lebens verschwand, wusste ich: Es ist Zeit.
Ich durfte sie auf ihrem letzten Weg begleiten – ruhig, liebevoll und in Frieden.

Auch als Tierärztin fällt mir dieser Schritt nie leicht. Aber ich weiß, dass der Tod manchmal das letzte Geschenk ist, das wir unseren Tieren machen können: Freiheit von Schmerz, Angst und Erschöpfung.

Finja wird für immer in meinem Herzen bleiben – und mit ihr die Tiere, die ich auf ihrem letzten Weg begleiten durfte.